Freie Grundrisse und die Verknüpfung mit der umgebenden Landschaft sind die entscheidenden Komponenten, die dem einst eher für leblose Sachen konzipierten ehemaligen Lagergebäude der VEB Obertrikotagen „Ernst Lück“ zugefügt wurden und es in ein inspirierendes Atelier- und Wohngebäude verwandelten.
Der Titel des Projektes – Antivilla – ist eher irreführend, denn das Ergebnis ist keineswegs das Gegenteil eines luxuriösen und repräsentativen Landhauses, wie ursprünglich im Römischen Reich mit dem Begriff „Villa“ bezeichnet, sondern eine zeitgemäße Modellierung dieser Werte im 21. Jahrhundert, die in Feuilletons und Fachpresse rege besprochen wird und mittlerweile auch als Kulisse trendiger Spielfilme Verwendung findet.
Wie stets beim Bauen in heutiger Zeit sind die Baugesetze nicht unwesentliche Parameter bei der Projektentwicklung. In diesem Fall sicherte der Erhalt des Bestands dessen große Nutzfläche von 500 Quadratmetern anstatt sich bei Abriß und Neubau auf die übliche Ausnutzung im Einfamilienhausgebiet beschränken zu müssen. Nebenbei konnte damit auch der Verbrauch von grauer Energie – damit bezeichnet man die Energiemenge, die für Herstellung und Entsorgung benötigt wird – reduziert werden.
Der eingangs beschriebenen Strategie für die Transformation des Bestands konsequent folgend, schlagen die Architekten Arno Brandlhuber mit Thomas Burlon und Markus Emde eigenhändig mit Freunden als Happening große Öffnungen zu den schönsten Ausblicken in die fast geschlossene Außenwand und konzipieren mit den Tragwerksplanern Pichler Ingenieure ein neues und das gesamte Gebäude überspannende Dach. Abgesehen von einer tragenden Wand im Erdgeschoß und einem Versorgungskern mit Küche, Bad, Sauna und Ofen im Obergeschoß, wird die gesamte Nutzfläche von Konstruktionen und Einbauten befreit. Es entstehen großzügige helle Räume mit zahlreichen Ausblicken, überall dort, wo es sich lohnt.
Diese Vorgehensweise ruft unweigerlich das nächste gestaltprägende Gesetz auf den Plan: hätte man die so frei modellierte Architektur nach allen Regeln der Energieeinsparverordnung ausgestattet, müsste man den gesamten Bestand mit Dämmung und Wärmeschutzfenstern technologisch hochrüsten. Die Lässigkeit, mit der sich die neuen Elemente in den an sich unveränderten Altbau einfügen, wäre durch diese generelle Überformung sicher verloren gegangen – endlos zu gedämmt. Prinzipiell ist jedoch das gesamte Konzept in Frage gestellt: die durch den Erhalt des Bestandes gewonnen geglaubte große Nutzfläche müsste mit einem erheblichen Aufwand für die energetischen Maßnahmen teuer erkauft werden. Unverhältnismäßig und dann im Vergleich zum Neubau nicht mehr konkurrenzfähig.
Um dies zu vermeiden, wird die Nutzfläche nochmals mit Bezug auf die Energieeinsparverordnung differenziert und in unterschiedliche Klimazonen – beheizte und unbeheizte Räume – unterteilt und mit flexiblen thermischen Vorhängen voneinander getrennt. Der Nachweis des Wärmeenergieverlustes muss so nur für ein kleineres Volumen mit deutlich verminderter Außenfläche geführt werden und damit der Aufwand für die energetischen Maßnahmen erheblich reduziert. Die Dämmung kann auf die verkleinerte Fläche der Hülle des beheizten Volumens beschränkt werden.
Praktisch reduziert sich damit natürlich auch die Nutzfläche – temporär während der Heizsaison. Durch die flexiblen Trennungen kann diese Beschränkung jedoch jederzeit an warmen Tagen angepasst und außerhalb der Heizsaison komplett aufgelöst werden. Es entsteht ein wandelbarer Grundriß, der auf die äußere Situation reagiert und unterschiedliche Wahrnehmungen ermöglicht: verkleinert und beschützt bei Kälte, mit steigenden Temperaturen vergrößert und sich mit der Umgebung verbindend. Geradezu ein zusätzliches Erlebnis angeboten durch die Architektur.
Baugesetze und dabei insbesondere die der Energieeinsparung verpflichteten manifestieren sich funktional und visuell in der gebauten Umwelt. Der Umgang diese Projektes damit führt allerdings vor, wie Architekten und Nutzer Handlungsmacht und damit Freiheit zurückgewinnen können.
Kaiser’s neue Kleider !