Baugesetze und Freiheit

Ansicht der Antivilla von Arno Brandlhuber

Die Antivilla am Krampnitzsee. Foto: Jürgen Weidner

Freie Grundrisse und die Verknüpfung mit der umgebenden Landschaft sind die ent­schei­denden Komponenten, die dem einst eher für leblose Sachen konzipierten ehemaligen La­gerge­bäu­de der VEB Obertrikotagen „Ernst Lück“ zugefügt wurden und es in ein in­spi­rie­rendes Atelier- und Wohn­ge­bäude verwandelten.

Der Titel des Projektes – Antivilla – ist eher ir­re­führend, denn das Ergebnis ist kei­nes­wegs das Gegenteil eines luxuriösen und reprä­sen­tativen Landhauses, wie ur­sprüng­­lich im Römischen Reich mit dem Begriff „Villa“ be­zeichnet, sondern eine zeit­ge­mäße Modellierung dieser Werte im 21. Jahrhun­dert, die in Feuilletons und Fach­pres­se rege besprochen wird und mittlerweile auch als Kulisse trendiger Spielfilme Verwen­dung fin­det.

Antivilla Hof

Hofansicht der Antivilla. Foto: Jürgen Weidner

Wie stets beim Bauen in heutiger Zeit sind die Baugesetze nicht unwesentliche Parameter bei der Projektentwicklung. In diesem Fall sicherte der Erhalt des Bestands dessen große Nutz­fläche von 500 Quadratmetern anstatt sich bei Abriß und Neubau auf die übliche Aus­­­nutzung im Einfamilienhausgebiet beschränken zu müssen. Nebenbei konnte damit auch der Verbrauch von grauer Energie – damit bezeichnet man die Energiemenge, die für Herstellung und Entsorgung benötigt wird – reduziert werden.

Der eingangs beschriebenen Strategie für die Transformation des Bestands konsequent fol­gend, schla­gen die Architekten Arno Brandlhuber mit Thomas Burlon und Markus Emde eigen­hän­dig mit Freunden als Happening große Öffnungen zu den schönsten Aus­blicken in die fast geschlossene Außenwand und konzipieren mit den Tragwerksplanern Pichler Ingenieure ein neues und das gesamte Gebäude überspannende Dach. Abgesehen von einer tragenden Wand im Erdgeschoß und einem Versorgungskern mit Küche, Bad, Sau­na und Ofen im Obergeschoß, wird die gesamte Nutzfläche von Konstruktionen und Ein­bau­ten befreit. Es entstehen großzügige helle Räume mit zahlreichen Ausblicken, überall dort, wo es sich lohnt.

Diese Vorgehensweise ruft unweigerlich das nächste gestaltprägende Gesetz auf den Plan: hätte man die so frei modellierte Architektur nach allen Regeln der Energie­ein­spar­verordnung ausge­stat­tet, müsste man den gesamten Bestand mit Dämmung und Wär­me­­­schutzfenstern technologisch hochrüsten. Die Lässigkeit, mit der sich die neuen Ele­men­te in den an sich unveränderten Altbau einfügen, wäre durch diese generelle Über­for­mung sicher verloren gegangen – endlos zu gedämmt. Prinzipiell ist jedoch das gesamte Kon­­zept in Frage gestellt: die durch den Erhalt des Bestandes gewonnen geglaubte große Nutzfläche müsste mit einem erheblichen Aufwand für die energetischen Maßnahmen teu­er erkauft werden. Unverhältnis­mäßig und dann im Vergleich zum Neubau nicht mehr konkurrenzfähig.

Antivilla Ansicht vom See

Antivilla – Ansicht vom See aus. Foto: Jürgen Weidner

Um dies zu vermeiden, wird die Nutzfläche nochmals mit Bezug auf die Energieeinspar­ver­­ordnung differenziert und in unterschiedliche Klimazonen – beheizte und unbeheizte Räu­me – unterteilt und mit flexiblen thermischen Vorhängen voneinander getrennt. Der Nach­weis des Wärmeenergieverlustes muss so nur für ein kleineres Volumen mit deutlich verminderter Außenfläche geführt werden und damit der Aufwand für die energetischen Maß­nah­men erheblich reduziert. Die Dämmung kann auf die verkleinerte Fläche der Hülle des beheizten Volumens beschränkt werden.

Praktisch reduziert sich damit natürlich auch die Nutzfläche – temporär während der Heiz­saison. Durch die flexiblen Trennungen kann diese Beschränkung jedoch jeder­zeit an war­­men Tagen angepasst und außerhalb der Heizsaison komplett aufgelöst wer­den. Es entsteht ein wandelbarer Grundriß, der auf die äußere Situation reagiert und un­terschied­liche Wahrnehmungen ermöglicht: verkleinert und beschützt bei Kälte, mit stei­genden Tem­peraturen vergrößert und sich mit der Umgebung verbindend. Geradezu ein zusätzli­ches Erlebnis angeboten durch die Architektur.

Baugesetze und dabei insbesondere die der Energieeinsparung verpflichteten mani­festi­eren sich funktional und visuell in der gebauten Umwelt. Der Umgang diese Projektes da­mit führt allerdings vor, wie Architekten und Nutzer Handlungsmacht und damit Freiheit zurückgewinnen können.

Projektvorstellung

Interview mit Arno Brandlhuber

Ein Kommentar zu “Baugesetze und Freiheit

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert