Volksverdummung – Die Genese der Kritik an der Wärmedämmung

Gastkommentar
Ronny Meyer – Bauingenieur, Journalist und Autor
Die Genese der Kritik an der Wärmedämmung

Foto: Daniel Bleyenberg – www.pixelio.de

Am 14.11.2010 erschien in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung unter der Überschrift „Die Burka fürs Haus“ ein eher unsachlicher Beitrag über Wärmedämm- Verbundsysteme. Diese von zwei Architekturjournalisten ausgehende Kritik an einer vermeintlichen, massenhaft auftretenden Dämmplatten-Verschandelung deutscher Hausfassaden entwickelte sich zu einer medialen Lawine: Regelrecht „wie die Sau durchs Dorf getrieben“ wurde das Thema Wärmedämmung in den vergangenen Jahren. Am Ende stand Wärmedämmung stellvertretend für all die negative Kritik, die vielleicht eher der Energiewende gelten sollte: von „oben“ verordnet und dazu noch teuer, aufwendig und „irgendwie unwirksam“.

Wer dieses Medienfeuer genauer verfolgte, stellte verwundert fest: Bei den kritischen Journalisten handelte es sich gerade einmal um eine Handvoll Medienvertreter, die wiederum lediglich die Anwürfe einer Handvoll Dämmkritiker immer und immer wieder abdruckten. Dabei wurden überwiegend Artikel mit stark überzeichneten Nachteilen und physikalisch nicht korrekten Aussagen veröffentlicht. Sprich, wurde der bauphysikalische Sachverstand gerne außer Acht gelassen.

So ließ man „Experten“ in Fernsehnachrichten ein Lagerfeuer aus Dämmplatten anzünden (was nicht funktionierte). Studien tauchten plötzlich auf, die belegen sollten, dass Wärmedämmung unwirtschaftlich und umweltschädlich sei. Ganze Gebirge von Sondermüll von Styropor wurden herbeigeredet. Obgleich der Begriff „Sondermüll“ hier schon falsch ist: An der Hausfassade verbautes Styropor wird als ganz normaler Baumischabfall entsorgt.

Und weil jahrzehntelange Baupraxis nun öffentlichkeitswirksam als Unsinn ausgerufen wurde, schüttelte auch lediglich die Fachwelt verzweifelt ihre Köpfe, wenn „Experten“ in Live-Chats erklärten, dass sie selbst niemals, aber auch unter keinen Umständen dämmen würden. Stattdessen sei eine dicke Ziegelmauer mit Einfachfenster sinnvoll – ganz so wie zu Opas Zeiten gebaut wurde. Sogar Klimawandel-Leugner und Verschwörungstheoretiker durften ohne Überprüfung der Medien (IKZ Haustechnik) ob ihrer Gesinnung zu Wort kommen.

Spiegel DämmungGipfel des „Shitstorm“ war im Dezember letzten Jahres die Spiegel Ausgabe 49. Sie zierte ein Cover mit dem Titel „Volksverdämmung, Verdämmt in alle Ewigkeit„.

Nur zwei Tage nach der Veröffentlichung verabschiedete das Bundeskabinett den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz (NAPE). Dieser soll mit seinen Maßnahmen dazu beitragen das deutsche Klimaschutzziel „40 Prozent weniger CO2-Emmission bis 2020 in Bezug auf 1990“ auch tatsächlich zu erreichen. Unter anderem hatte die Politik dazu auch einen großen Steuerkuchen aufgetischt – und zwar die von zahlreichen Hausbesitzern lang ersehnte steuerliche Förderung für energetische Sanierungsmaßnahmen.

Die zeitliche Nähe von Berichterstattung und politischer Entscheidungsfindung könnte stutzig machen.

Wenn da nicht im allerletzten Moment noch Druck aufgebaut werden sollte, den Steuerkuchen anders oder gar nicht zu verteilen? Zumal das renommierte Polit-Magazin „Cicero“ den „Spiegel“ daraufhin wegen Schleichwerbung im Visier hatte: Der „Spiegel“ hatte Anzeigen der Energiewirtschaft neben seinen Negativ-Artikeln über Wärmedämmung platziert. Ist das Zufall oder Sponsoring – fragte „Cicero“ zu Recht.

Wie dem auch sei, inzwischen ist die Kritik an der Wärmedämmung nachweislich in den Köpfen der Politiker angekommen. Steuerliche Begünstigungen wurden ersatzlos gestrichen. Stattdessen hat das Bundeswirtschaftsministerium die Wärmewende im Heizungskeller ausgerufen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Zurück zu den Medien: Kaum war der Nationale Aktionsplan Energieeffizienz „draußen“, ebbte die mediale Kritik-Welle an der Wärmedämmung schlagartig ab. Was geblieben ist, ist eine große Verunsicherung bei Handwerkern, Hauseigentümern und auch der Branche selbst.

Fragt man Bekannte, so hat inzwischen jeder etwa schon davon gehört, dass Dämmung „nichts bringt“ oder „brandgefährlich“ sei. Dabei gibt es für jede Anwendung den geeigneten Dämmstoff. Dieser wurde jeweils für seinen Einsatzbereich in Deutschland bauaufsichtlich zugelassen und qualitätsgeprüft. Es gibt zudem Dämmstoffe, die nicht brennbar – aber nicht überall einsetzbar – sind. Im Wohnungsbau verlangt das Gesetz mindestens „schwer entflammbar“. Ein solches Material brennt definitiv langsamer als jedes Holzgebälk im Dach oder der Teppich. Alle anderslautenden Behauptungen sind Unsinn.

Es wird schwer sein, die neuen „Dämm-Mythen“ aus den Köpfen zu bekommen.

Und es wird sicherlich Jahre dauern. Die Industrie muss jetzt einen langen Atem haben – Geld in die Hände nehmen und ein neues Image aufbauen. Das Vertrauen in das Produkt Wärmedämmung muss Stück für Stück wieder aufgebaut, auch und gerade beim Thema Nachhaltigkeit von Dämmung.

Diese hat – und das wissen immer noch die wenigsten – eine positive Ökobilanz – und das nicht nur bei Naturdämmstoffen. Hier sollte man sich nicht täuschen lassen. Hanf oder Seealgen haben nicht zwingend eine bessere Ökobilanz als Kunststoffe und sind zudem nicht überall einsetzbar. Beispielsweise müssen Dämmstoffe in der Bodenplatte extremen Druck aushalten und resistent gegen Feuchtigkeit sein. Dass man dabei nicht Holzfaser oder Zellulose einsetzen kann, leuchtet wohl ein. So hat sich zum Beispiel der in diesen Bereichen eingesetzte Extruderschaum (XPS) – ein erdölbasierter Dämmstoff, der auch im Gründach verbaut wird, nach weniger als einem Jahr Einsatz ökologisch amortisiert. Erstens besteht er zu 97 Prozent aus Luft und zweitens verfügt er über eine extrem lange Lebensdauer. Einmal im Haus verbaut, hält XPS ein Hausleben lang. Ganz zu schweigen von den Vorteilen, die ein Gründach für das Klima mit sich bringt…

Wer nicht unter einem Flachdach, sondern unter einem Steildach wohnt, und gern nachrüsten möchte, greift etwa zu Mineralwolle. Auch hier wieder wissen die wenigsten: Mineralwolle-Dämmstoffe sind auf ihre gesundheitliche Unbedenklichkeit streng geprüft.

Doch zurück zu all dem, was bedauerliche Folge der jahrelangen Medienkritik ist: Die Energiewende, deren Ziel es ist, bis 2050 einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand zu verzeichnen, steht quasi vor dem Scheitern. Die seit Jahren schrumpfende Gebäudesanierungsrate sinkt weiter. Und das trotz niedrigster Zinsen und bestmöglichster Förderprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau.

Es wird unmöglich sein, jemals zu erfahren, warum hier versucht wurde ein ganzes Gewerk der Energiebranche zu diskreditieren und welche Interessen dahinter stecken. Kann die Heizölindustrie mehr Profit machen, wenn weniger gedämmt wird? Steckt der Hausbesitzer sein Geld eher in eine neue Heizung statt in eine intakte Gebäudehülle zu investieren? Wenn aufklärerisch veranlagte Journalisten durch vermeintliche Experten darauf hingewiesen werden, dass eine „Dämmstoff-Mafia“ mit der Politik unter eine Decke kuschelt, können Medienvertreter mit diesem scheinbaren Skandal etwa mehr Auflage machen? Und die neuen „Experten“ höhere Gagen für ihre Vorträge verlangen?

Fakt ist jedenfalls, dass der gesunde Menschenverstand an einigen bauphysikalischen Gesetzmäßigkeiten nicht vorbeikommt und dass es mehr als Zeit ist, auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren.

Wärmedämmung hilft, kostbare Heizenergie einzusparen und damit die Umwelt zu schützen.
Die Bauphysik, die dahinter steckt, ist simpel: Wärmedämmung verlangsamt den Wärmeabfluss von der wärmeren Innenwand hin zur winterkalten Außenwand und vice versa – im Sommer sorgt Dämmung für ein angenehm kühles Innenraumklima.

Wärmedämmung verhindert Schimmelbildung.
Da der Luftaustausch in den eigenen vier Wänden ausschließlich über die Lüftung (Fenster oder Lüftungsanlage) erfolgt (Nein, eine Wand kann nicht atmen!), entsteht insbesondere in der kalten Jahreszeit ein hohes Dampfdruckgefälle von innen nach außen. Dabei kann in bestimmten Bauteilschichten durch die Taupunktunterschreitung Wasserdampf kondensieren – beste Grundlage für die Entstehung von Schimmelpilzen. Dieses Phänomen tritt sehr häufig in unsanierten, ungedämmten Altbauten auf. Eine moderne, außen liegende Dämmung hält das Gebäude dagegen trocken und warm.

Wärmedämmung schützt somit die Bausubstanz und nützt damit zugleich dem Werterhalt des Gebäudes.

Fazit: Wer effizient und umweltbewusst bauen möchte, kommt um eine moderne Dämmung nicht herum.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert