Bauen für Flüchtlinge: Ja. Energieeffizienz: Nein?

„Wie viel Wärmedämmung bietet ein Zelt?“ Eine Frage von Angela Merkel, die die aktuelle Situation anspricht.

3sat: Willkommens-Architektur Eine studentische Arbeitsgruppe um Architekt Jörg Friedrich hat neue Konzepte für die Unterbringung von Flüchtlingen entwickelt. Innovativ, ästhetisch ansprechend, zentral und preiswert.

3sat: Willkommens-Architektur
– neue Konzepte für die Unterbringung von Flüchtlingen

Seit Wochen treffen Tag für Tag hunderte von Flüchtlingen bei uns ein. Viele von uns helfen wo es nur geht, doch was die Flüchtlinge jetzt auch brauchen ist zweifellos ein Dach über dem Kopf. Wo sollen sie wohnen? Nach schnellen Provisorien gilt es, langfristige Lösungen zu finden. Das fällt allen Beteiligten schwer, nicht zuletzt auf Grund der gründlichen deutschen Bürokratie und Gesetzgebung. Für alle ausreichenden und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, stellt Deutschland für die nächsten Jahre vor eine neue Dimension.

Hier das eigentliche Problem im Fokus zu behalten, fällt anscheinend genauso schwer: Es geht um Menschen, die auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung und Not zu uns kamen. Nun wird daraus die Forderung abgeleitet, bestehende und geplante Gesetzgebungen auszuhebeln – und das gleich für den gesamten Neubausektor? Werden hier Flüchtlinge nicht vielleicht als Vorwand genommen, um Bau- und Energiestandards herunterzuschrauben? Aus der Not ein Geschäft gemacht?

Genauso verwundern einige Stimmen mit der Argumentation, dass man auch bei Flüchtlingunterkünften nicht Standards aussetzen sollte, weil sonst ein Rückbau unserer ordnungsrechtlichen Errungenschaften eingeleitet würde und so der Untergang des Abendlandes drohe…

Das alles trifft nicht nur bei uns auf Sprachlosigkeit und Kopfschütteln. Wir haben die Diskussion für Sie mitverfolgt. In einem Faktencheck haben wir die Stimmen zusammengetragen. Mehr Infos gibt es unter den jeweiligen Links. Bilden Sie sich eine eigene Meinung!

Forderung: Die EnEV soll für alle Neubauten ausgesetzt werden

Ein Bündnis von elf Organisationen aus der Bau- und Wohnungsbranche, u.a. Vertreter aus Bau- und Immobilienwirtschaft, Industriegewerkschaft Bau, Mieterbund und Architektenbund, fordert, die für 2016 geplante Verschärfung der Energieeinsparverordnung (EnEV) für mindestens fünf Jahre auf Eis zu legen. Hauptargument: Die verschärften Neubauanforderungen würden nach Berechnungen der Wohnungs- und Bauwirtschaft Kostensteigerungen von 6 bis 10 Prozent beim Wohnungsbau verursachen. www.enbausa.de/finanzierung-beratung/aktuelles/artikel/bau-buendnis-fordert-moratorium-der-enev-2016-5001.htm

Die Stimmen:

„Die aktuelle Notsituation auszunutzen, um bestehende Klimaschutzstandards abzuwickeln, ist zynisch und ein bedauerliches Verhalten der Branche.“ Mietern würden viele Jahre lang höhere Unterhaltungskosten aufgebürdet. Einen Baukostenanstieg durch Vorgaben zum Wärmeschutz bezweifelt die DUH. Den gesamtgesellschaftlichen Nutzen aufgrund Partikularinteressen der Wirtschaft aufs Spiel zu setzen, darf nicht das Ergebnis demokratischer Prozesse sein…“. Geltende Energiestandards auszusetzen und dies als kurzfristige Entlastung zu interpretieren, sei Unsinn.
[Sascha Müller-Kraenner,
Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH)]
www.duh.de/pressemitteilung.html?&tx_ttnews[tt_news]=3615

„Die zügige Bereitstellung von Wohnraum für Flüchtlinge hat oberste Priorität. Eine pauschale Aufweichung der Anforderungen an Energieeffizienz und Erneuerbare Wärme hilft aber weder den Flüchtlingen, noch dem Klima. Beides gegeneinander auszuspielen, ist dreist… Klimaschonendes Wohnen ist eine Investition in die Zukunft. Ohne erneuerbare Wärme sind die Klimaschutzziele nicht zu erreichen. Ohne Klimaschutz wird sich die Flüchtlingskrise noch verschärfen.“
[Dr. Hermann Falk,
Geschäftsführer des Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE)]
www.bee-ev.de/home/presse/mitteilungen/detailansicht/fluechtlingsunterkuenfte-baustandards-fuer-erneuerbare-waerme-nicht-pauschal-aussetzen/

„Wir erleben gerade Versuche, das Rad bei der Energie- und Wohnungsbaupolitik zurückzudrehen. Dem können wir als Energieberater, denen moderner und zukunftsfähiger Wohnraum am Herzen liegt, nicht zustimmen. … Was wir brauchen sind innovative und praxisnahe Konzepte, wie man schnell und unbürokratisch Menschen in Not helfen kann, ohne auf langfristige Ziele zu verzichten.“
[Hermann Dannecker,
Vorsitzender des Deutsches Energieberater-Netzwerks (DENe.V.),
Dipl.-Ing. und Vorstandssprecherin Dipl.-Ing. Marita Klempnow]
den-ev.de/cms_v2/fileadmin/Dateien/Pressemitteilungen_2015/2015_09_18_DEN_PM_28-2015m1_HP.pdf

Mit den heutigen Baustoffen ist es fast unmöglich, schlechter zu bauen als es die EnEV verlangt.

Für Ronny Meyer nimmt die aktuellen Debatte sonderbare Formen an, z.B. die Presseinfo des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes (ZDB): womöglich müsse man „auf Anforderungen im Brandschutz, bei der Höhe von Treppengeländern oder bei der Wärmedämmung beim Umbau von Kasernen in Flüchtlingsunterkünfte verzichten“. Übergangsregelungen müssten her, „diese müssen dann auch für den gesamten Wohnungsbau gelten.“ Oder die Forderung der deutschen Wohnungswirtschaft: „Bund und Länder sollen die Baustandards befristet absenken und die Energieeinsparverordnung (EnEV) bis zum Jahr 2020 auf das Niveau der EnEV 2009 absenken.“

Der Energieexperte dazu: „Hoppla! Erstens sind die heutigen Anforderungen der EnEV genau auf dem Niveau der EnEV 2009, denn mit der Novelle 2014 wurden keinerlei Werte ‚verschärft‘. Und zweitens ist doch das Gegenteil der Fall: Die EnEV richtig umzusetzen führt zu dauerhaft niedrigen Betriebskosten. Der Clou: Mit Standard-Baustoffen und Standard-Ausführungen von heute übertrifft man mit Null Prozent Mehrkosten die Anforderungen der EnEV automatisch um 25 Prozent. Mit den heutigen Baustoffen ist es fast unmöglich, schlechter zu bauen als es die EnEV verlangt. Nach Inkrafttreten der nächsten EnEV-Stufe wird genau das abgebildet, was der Markt heute längst anbietet. Die EnEV zieht 2016 mit ihrer ‚Verschärfung‘ lediglich das nach, was seit Jahren bei klugen Architekten und Bauherren längst Alltag ist.“
[Ronny Meyer, Modernisierungsoffensive, Faktencheck Dämmung]
faktencheck-daemmung.com/ein-ernstes-thema-wird-noch-ernster-haeuser-fuer-fluechtlinge-ohne-daemmung/

Die Herausforderung steht:

Sie sehen, das Thema stößt auf große Resonanz. Trifft es doch gleichzeitig mehrere Sozial-, Lebens- und Wirtschaftsbereiche. Mittlerweile setzten sich Bau- und Wohnungswirtschaft mit Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks an einen Tisch und „bekannten sich zu der Gemeinschaftsaufgabe von Politik und Wirtschaft, alles in ihren Kräften stehende zu tun, um für die menschenwürdige Unterbringung der Zuwanderer und für dauerhaften Wohnraum für alle Bürger zu sorgen.“ Dazu sei es notwendig, eine Reihe von Rahmenbedingungen sehr rasch zu verbessern.

Der Bund plant momentan Erleichterungen – hinsichtlich der betroffenen Gebäude (Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte) und nur für einen begrenzten Geltungszeitraum bis Ende 2018.
Die Verbändevertreter regten an, den verstärkten Einsatz industrieller Fertigungsmethoden zu prüfen. Denn Modularisierung, Standardisierung sowie Vorfertigung und Verwendung von Roh- und Ausbauelementen könnten einen Beitrag zur Verkürzung der Bauzeiten und zur Senkung der Baukosten leisten. www.zdb.de/zdb-cms.nsf/id/kommuniqu-nach-dem-gespraech-bmin-barbara-hendricks-mit-spitzen-der-bau-und-wohnungswirtschaft-am-?open&ccm=040l

So geht`s auch:

LU Hannover, hat neue Konzepte für die Unterbringung von Flüchtlingen / LU Hannover

neue Konzepte für die Unterbringung von Flüchtlingen / LU Hannover

Eine studentische Arbeitsgruppe um Architekt Prof. Jörg Friedrich, LU Hannover, hat neue Konzepte für die Unterbringung von Flüchtlingen entwickelt. Innovativ, ästhetisch ansprechend, zentral und preiswert.
www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=54096

Viele private Immobilien­eigentümer vermieten bereits Wohnungen an Flüchtlinge. www.hausundgrund.de/presse_1117.html

Die KfW-Bank stellt Städten und Gemeinden zinslose Förderkredite als Sonderförderung für Flüchtlingsunterkünfte bereit. Das Anfang September freigegebene Förderbudget von 300 Mio. Euro war schon nach wenigen Tagen ausgeschöpft und wurde nun auf insgesamt 500 Mio. Euro aufgestockt. www.kfw.de/inlandsfoerderung/%C3%96ffentliche-Einrichtungen/Kommunale-soziale-Basisversorgung/Finanzierungsangebote/Investitionskredit-Kommunen-%28208%29/

Ein Kommentar zu “Bauen für Flüchtlinge: Ja. Energieeffizienz: Nein?

  1. Der Gesetzesentwurf steht:
    Das Bundeskabinett hat zur Asylverfahrensbeschleunigung auch Änderungen im Bauplanungsrecht, der EnEV und am EEWärmeG beschlossen. Damit soll die Unterbringung von Flüchtlingen in winterfesten Quartieren beschleunigt werden.

    Die Energieeinsparverordnung (EnEV) soll nur ganz gezielt und zeitlich begrenzt (bis 31. Dezember 2018) gelockert werden. Die Sonderregelungen zur Energieeinsparverordnung werden auf Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte im Sinne des Asylgesetzes beschränkt. Hierfür wird eine auf drei Jahre befristete generelle Befreiung von den Anforderungen des § 9 der EnEV erlaubt.

    Nutzungsänderungen wegen baulicher Maßnahmen wie Erweiterung und Ausbau werden für diesen Zeitraum von den Pflichten nach der Energieeinsparverordnung befreit. Der Mindestwärmeschutz nach den anerkannten Regeln der Technik ist allerdings auch bei Flüchtlingsunterkünften einzuhalten.

    Der Bundestag muss der Verordnung noch zustimmen, die EnEV-Änderungen sind allerdings so formuliert, dass sie auch rückwirkend gelten.

    Weiterlesen: http://www.geb-info.de/gentner.dll?AID=675233&MID=30001&UIT=TkxfSURFTlQ9NTMzODJfMjAxNV8xMF8wNl8wOV8xMV8yMCZOTF9NSUQ9NTMzODI&DID=D4B3BDB714BF36D43F463C9A486DE0C01CA2B3E8461F077C4E4C02D4EC2A132DE19A660AC364D763

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