Heißes Pflaster Stadt – Warum wir mehr Pflanzen brauchen

Dachbegrünung als Low-Tech-Lösung gegen den Klimawandel

3sat-Heißes Pflaster Stadt - Warum wir mehr Pflanzen brauchen

Film von Claudia Giczy-Hefner und Peter Giczy

Städte tragen zum Klimawandel bei und sind gleichzeitig auch maßgeblich davon betroffen. Höchste Zeit, sich mit den Bedürfnissen jener Menschen zu befassen, die in den Städten leben – finden Claudia Giczy-Hefner und Peter Giczy. In ihrem Film „Heißes Pflaster Stadt – Warum wir mehr Pflanzen brauchen“ gehen Sie den wichtigen Fragestellungen auf den Grund: Wie die Städte widerstandsfähig gegen den Klimawandel und lebenswerter für ihre Bewohner machen? Wie Ressourcen und Energien besser nutzen? Wie Grün- und Erholungsräume schaffen?

Nur mit ausreichend Pflanzen werden wir uns in den Städten auch wohlfühlen.

Die Dokumentation berichtet von Städten und Projekten, die in Zeiten das Klimawandels die Begrünung unserer Städte als Strategie haben. Zukünftig sollen Großstädte trotz stetigen Bewohnerzuwachses nicht mehr über die Stadtgrenzen hinauswachsen und dadurch wertvolle Naturressourcen zersiedeln. Moderne Städte setzen auf verdichtetes Bauen, kurze Wege und mehr Grün – dazu müssen Häuser und Stadtgrün in den weiter wachsenden Städten in die Höhe wachsen. Der urbane Dschungel wird zur Low-Tech-Lösung des Klimaproblems. Pflanzen kühlen die heißen Städte, temperieren die Gebäude, sie reinigen die verschmutzte Stadtluft und binden das Wasser nach Regenfällen.

Und die Menschen? Noch vor 150 Jahren lebten nur fünf Prozent der Weltbevölkerung in Städten. Bis 2050 werden zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Die augenscheinlichen Probleme in der Stadt sind, neben Luftverschmutzung und Lärm, die völlig andere Taktung unseres Alltags. Dazu kommt: Historisch gesehen haben die Menschen die meiste Zeit der Evolutionsgeschichte in der Natur verbracht. Städte sind – auf die gesamte Evolutionsgeschichte des Menschen gesehen – erst so kurz als Lebensumgebung präsent, dass unsere Biologie sich in der kurzen Zeit noch nicht umfassend darauf einstellen konnte. Körper und Psyche versetzt die unvermeidliche Großstadthektik in Stress.

Evolutionsbiologin Elisabeth Oberzaucher:
„Es gibt kein Argument, um eine Stadt nicht vollkommen grün zu machen.“

Einschlägigen Studien zufolge hat allein der Ausblick ins Grüne – in die Natur – positive Effekte auf den Menschen, auf seine körperliche sowie psychische Gesundheit. Weitere Studien belegen die positive Wirkung von Gebäudegrün im Arbeitsalltag. Selbst ein kurzer Blick vom Bildschirm auf ein nahe liegendes Gründach erleichtert Menschen das Fokussieren und verbessert die Konzentration gegenüber Mitarbeitern mit Blick auf ein graues Häusermeer aus Stein und Beton.

Singapur – Stadt im Garten

Singapur ist die Wirtschaftsmetropole schlechthin – Hochhäuser so weit und so hoch man schaut. Besonders die begrünten Gebäude sorgen dabei weltweit für Aufsehen. Denn Singapur ist die grünste Stadt Asiens. Bereits seit den 70-ern strebt die Regierung der Metropole an, aus Singapur eine „garden city“ entstehen zu lassen, üppiges Grün soll die Luft säubern und das Leben der Einwohner angenehmer machen. Die Nachhaltigkeitsstrategie und das Wassermanagement Singapurs hat eine starke Vorbildfunktion für den Rest der Welt.

Planungsgrundsatz: „Die Stadt im Garten“. Ein Garten zum Klimaschutz und um Gemeinschaft in der Stadt zu erzeugen. Da das Anlegen großer Parks und Grünflächen im eng verdichteten Stadtgebiet undenkbar ist, bringen die Planer begrünte, öffentliche Flächen in die Gebäude selbst hinein. Damit wird die „Klima-Grün-Mensch-Problematik“ auf Wohnquartiere und einzelne Gebäude heruntergebrochen und jeweils geschaut: Wo kann konkret hier Grün entstehen? Wo können sich die Bewohner treffen? Wo ist Platz für öffentliche Räume, begrünte Flächen, die ein großes Gebäude lebenswert machen?
Früher setzte man in Singapur auf Häuser auf Stelzen. Unter den aufgeständerten Gebäuden entstanden begrünte, öffentliche Plätze, die zudem gut durchlüftet waren und von den Bewohnern gern genutzt wurden. Heute werden solche „Avoid-Decks“ auch in oberen Stockwerken eingezogen, die kühle Erholungsflächen in luftiger Höhe ermöglichen.
Einzelne Hochhaustürme werden durch begrünte Brücken verbunden. Die Kosten für solch aufwendige Konstruktionen übernimmt die Regierung. Durch die sogenannten „Skyparks“ oder auch „Himmelsgärten“ haben die Bewohner kurz erreichbare Grünflächen im direkten Wohnumfeld. Unglaublich aber wahr: Der Weg bis hinunter ins Erdgeschoss ist meistens zu weit.

WOHA Architekten aus Singapur sind Meister darin, grüne Hochhäuser zu planen und mit ihren grünen Oasen die städtischen Betonwüsten aufzubrechen. Wie vom Urwald zurückerobert, ranken Pflanzen an den Wolkenkratzern, beschatten Blätter Beton und Glas, durchbrechen Kleingärten immer wieder die Fassaden. Das Architekturbüro prophezeit bereits für die nahe Zukunft: Moderne Häuser werden nicht nur grüne Technologien zur Energieerzeugung nutzen, sie werden tatsächlich rundum begrünt sein. Strom- und wassersparend werden die Häuser sowohl ihre Energie, als auch die benötigten Nahrungsmittel produzieren. Einzelne Stadtteile werden übereinander gestapelt und begrünt, durch Aufzüge und Bahnen miteinander verbunden sein. Die Ideen der Architekten sind keinesfalls utopisch, sondern zumindest technisch heute schon machbar.

Dachbegrünung in der historischen Wiener Altstadt

Doch wie effektiv sind begrünte Dächer und Fassaden bei uns in Mitteleuropa? Europa erlebt die heißesten Sommer seit der Jahrhundertwende. Besonders die Innenstädte heizen sich auf. Und Wände, Beton und Asphalt speichern die Wärme, so dass die Wohnquartiere auch in den Nächten fast „tropisch“ heiß bleiben. Grüne Dächer und Fassaden sind ein simples, aber effizientes Mittel, um die Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren. Begrünte Fassaden und Dächer sind Bestandteil einer nachhaltigen Architektur in Deutschland und in Mitteleuropa. Sie kühlen nicht nur, sie binden Feinstaub, mindern den Schadstoffgehalt der Luft und reduzieren den Stadtlärm.

Die Wiener Altstadt zählt in ihrer Geschlossenheit zu den schönsten Stadtdenkmälern Europas und ist UNESCO Weltkulturerbe. Gerade im dicht bebauten Stadtgebiet stellt die Begrünung von Dachflächen oft die einzige Möglichkeit dar, zusätzliche Grünflächen zu schaffen. In Wien sind ca. 850 Hektar Dachflächen als Flachdach ausgebaut. Damit sind 20 Prozent aller Dächer Wiens gut zur Begrünung geeignet. In den letzten Jahren stieg der Anteil der Dachbegrünungen bereits kontinuierlich an, vor allem am Stadtrand von Wien werden neue Wohnhäuser mit begrünten Flachdächern gebaut. Trotz dieser Entwicklung kommt in einigen Wiener Innenstadtbezirken auf einen Stadtbewohner weniger als ein Quadratmeter Grünfläche.

Wie Pflanzen als natürliche Klimaanlage das Stadtklima kühlen, zeigt eine Studie der Wiener Umweltschutzabteilung. Der Kühleffekt einer 850 Quadratmeter großen, begrünten Fassade entspricht der Kühlleistung von 75 Klimageräten mit je 3.000 Watt Leistung über acht Stunden Betriebsdauer hinweg. Werden alle Fassaden eines Straßenzuges begrünt, empfinden Passanten das als eine Abkühlung um 14 Grad Celsius.

Grüne Schule in Wiener Innenstadt

Die Technische Universität Wien hat in einem Pilotprojekt Versuchsflächen in einem Gymnasium mitten in der Wiener Innenstadt angelegt. Nicht nur auf dem Dach der Schule entstand eine „Grüne Oase“, auch Fassaden und Klassenräume wurden begrünt. Die Begrünungen führen im Sommer zu einer Temperatursenkung der direkten Umgebungstemperatur von fünf Grad. Und auch im Winter konnte die Fassadenbegrünung den U-Wert der Außenwand um 20 Prozent reduzieren. Die Pflanzen dämmen das Schulhaus – Strom zum Heizen und Kühlen wird eingespart.

Und auch die begrünte Wand im Klassenzimmer macht Schule. Die Pflanzen reduzieren Schall und Nachhall um 28 Prozent. Die CO2-Konzentration im Raum wird gesenkt, die Luftfeuchtigkeit erhöht. Das Ergebnis: Eine positiv gestimmte Umgebung schafft ein gesundes Arbeitsklima und wirkt stressreduzierend.

Strom erzeugender Dachgarten der Zukunft

Auf dem Dach wurde unter anderem erstmals die Kombination von Gründach und PV-Kollektoren wissenschaftlich getestet. Lange Zeit galten Gründach und Aufdach-Kollektoren als Konkurrenz um die Dachfläche, doch es geht auch anders: Das Projekt PV-Dachgarten kombiniert die bisher getrennt entwickelten Disziplinen Gebäudebegrünung, gebäudeintegrierte Photovoltaik und nutzerorientierte Dachgestaltung. Ziel: PV, Dachbegrünung und Dachnutzung zu innovativen Systemkonzepten zu verbinden, dabei Synergien zu erkennen und zu nutzen. So schützen die PV-Module die Pflanzen der Dachbegrünung. Die Pflanzen kühlen die Module und erhöhen so sogar die Stromausbeute.
Im Rahmen des Projektes werden umfassende Analysen durchgeführt: Nutzerbedürfnisse, Abstimmung geeigneter Begrünung in Kombination mit PV-Beschattung, Wirkung von Beschattungsmustern auf Menschen, Abstimmung von Architektur, Begrünung, Konstruktion und Bewässerungskonzepten, Kosten- und Ertragsstrukturen. Daraus werden PV-Dachgarten Systemkonzepte abgeleitet, die in Form eines Baukastensystems für verschiedene Nutzertypen und Gebäudearten geeignet sind.

Warum bleiben wir vielerorts hinter unseren Möglichkeiten zurück?

Starkregen und lange Trocken- und Hitzephasen nehmen spürbar zu und wir bauen einfach weiter wie bisher? Und lassen das Potenzial vor allem vorhandener Flachdächer weiter links liegen? Was muss noch oder was muss erst passieren, damit wir umdenken? Deutschland tut sich in Baufragen immer etwas schwerer dabei, auf Neues zu setzen. Das fängt bei Wohnungsgrundrissen mit offener Küche an und setzt sich beim traditionellen Satteldach fort. Unsere europäischen Nachbarländer sind uns mindestens einen Schritt voraus, das betrifft auch die Dachbegrünung. Liegt es an den vielen und strengen Bauvorschriften, deutschen Normen und EU-Richtlinien zu Statik, Dachabdichtung oder Energieeinsparung? Oder ist es die althergebrachte Angst vor dem immer feuchten und leckage-anfälligen Flachdach?

Dabei sind diese Zeiten längst vorbei. Mit modernen Materialien und funktionsoptimierten Dachaufbauten schlagen Flachdächer dank vielfachen Mehrwerteffekten das klassisch konservative „Normaldach“ mittlerweile um Längen. Die Sorge, dass Flachdächer undicht sind, ist längst überholt. Heute geht der Trend beim Flachdach klar zum Umkehrdach. Denn der dafür verwendete Extruderschaum ist wasserresistent und wird deshalb überall dort am Gebäude eingesetzt, wo Feuchtigkeit im Spiel ist. Die Dachabdichtung an der richtigen Stelle, geschützt durch eine feuchtigkeitsunempfindliche Wärmedämmung, die sowohl als Puffer gegen Temperaturschwankungen dient als auch druckstabil Lasten von Terrassen- oder Gründachaufbauten tragen kann, so ist jedes Flachdach bestens gerüstet. Laut einer Untersuchung des Fraunhofer Institutes erhöht ein Umkehrdach die Lebensdauer eines Daches um das Doppelte gegenüber dem sogenannten “ Normaldach“. Die Sorgen um ein undichtes Dach sind heutzutage mit dieser Bauweise völlig unbegründet.

Klar, Totschlagargument von neuen Bautrends sind immer vermeindlich hohe Kosten. Doch beim begrünten Flachdach zieht auch das nicht. Die Lebensdauer von als Umkehrdach gebauten Flachdächern verdoppelt sich, geringere Wartungskosten und Modernisierungskosten schlagen sich so im Budget von Bauherren und Investoren nieder. Zusätzlicher Lebensraum in Dachgarten oder Dachterrasse steigern den Marktwert der Immobilie und Wohnkomfort gleichermaßen. Wird das Dach zum Regenwasserrückhalt angerechnet, schlägt sich das positiv in den Regenwasserabwassergebühren nieder.

Der Film zeigt an den Beispielen in Singapur und Wien: Es lohnt sich in jedem Neubau- oder Sanierungsprojekt, die Dachbegrünung ins Rennen zu schicken. Hauseigentümer und Bewohner profitieren zweifelsfrei unmittelbar. Die Summe vieler, kleiner „Gründach-Puzzleteile“ schafft spürbaren Nutzen in Quartier und Stadteilen. Das Klima wandelt sich. Und ausgerechnet die Natur, sie einzubeziehen und ihr mehr Platz zu geben, kann uns Menschen dabei helfen, uns anzupassen und das Großstadt-Klima der unvermeidlich wachsenden Städte lebenswerter zu machen.

Film auf youtube anschauen
Heißes Pflaster Stadt – Warum wir mehr Pflanzen brauchen

2 Kommentare zu “Heißes Pflaster Stadt – Warum wir mehr Pflanzen brauchen

  1. Wenn doch unsere Kommenalpoliker mehr Mut beweisen würden, könnten manche Kreisstädte grüner aussehen. Mal schauen wie die Kommunalwahl ausgeht, ob mehr Grüne in die Räte einziehen, die solche Projekte vorschlagen und umsetzen …
    ..

    • Hallo Frau Braun,

      vollkommen einverstanden! Genau deswegen schreiben wir uns hier die Finger wund. Wir wollen, dass diese Themen bei den Politikern mehr auf die Agenda kommen und auch die Bauleute mehr über die Möglichkeiten nachhaltigen Bauens erfahren. Dabei gibt es allerdings viele Mythen zu beseitigen. Zum Bsp, dass Gründächer die Dachhaut kaputtmachen (deswegen ja Umkehrdach) oder durchnässen oder unbezahlbar sind usw. Teilen Sie unsere Beiträge (auch bei FB) dann können wir alle etwas ‚Druck‘ machen. Liebe Grüße und einen schönen, grünen Sommer!

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