Baukosten – Wieviel kostet der Faktor Energieeffizienz wirklich?

Energiesparhäuser müssen nicht teurer sein

Foto: Modernisierungsoffensive

Foto: Modernisierungsoffensive

In den Koalitionsverhandlungen haben Union und SPD ein milliardenschweres Paket zur Schaffung von mehr Wohnraum beschlossen. Der soziale Wohnungsbau soll mit einer Summe von bis zu zwei Milliarden Euro bis 2021 gestärkt werden. Ein Baukindergeld für Familien und Investitionsanreize für die Bauwirtschaft sollen den Bau von mehr Wohnungen bahnen – dafür sind ebenfalls zwei Milliarden Euro in Aussicht gestellt.

Warum ist der Wohnungsbau so teuer?

Die einzuhaltenden Umweltstandards und Vorgaben zur Energieeffizienz werden immer wieder für die Kostensteigerungen in Neubauprojekten verantwortlich gemacht. Fakt ist: seit 1945 steigen die Baukosten, da die Qualität der Wohnhäuser immer weiter verbessert wurde. Größere Wohnflächen, standardmäßig verfügbare Balkone und große Bäder, hochwertige Materialien, modernere Technik, mehr Wohnkomfort und natürlich auch höhere Energieeffizienz.

Die reinen Baukosten werden oft als einziger Bewertungsmaßstab für kostengünstiges Bauen angesetzt. „Wir bauen billig um teuer zu wohnen“ stellte Karl Hencky bereits 1921 in seiner Veröffentlichung „Wärmeverluste durch ebene Wände“ fest. Und das gilt heute mehr denn je. Je energieeffizienter ein Neubau, desto mehr Energie und Kosten können ab Einzug und über die gesamte Lebensdauer hinweg eingespart werden. Doch die Baukosten schlagen nun mal beim Bau mit durchaus beträchtlicher Höhe zu Buche. Die Summe steht von Beginn der Bauarbeiten bis weit nach Fertigstellung im Raum und wird immer wieder zum Maß aller Dinge gemacht.

Damit das Geld der anstehenden Groko sinnvoll eingesetzt wird, hat Hamburg schon mal vorgearbeitet. Die Hansestadt hat in puncto Baukosten nachgerechnet. Wieviel kostet der Faktor Energieeffizienz im Wohnungsbau wirklich? Das wollte die Behörde für Umwelt und Energie genau wissen. Das Dilemma: Klimaschutz oder Wohnungsbau? Hohe Energieeffizienz oder günstige Mieten?
Dieser Herausforderung hat sich Hamburg bereits gestellt. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn der Gegenwind der Wohnungswirtschaft ließ nicht lange auf sich warten.

Eines vorweg: Hamburg baut nachhaltig und qualitativ hochwertig …

… und das zum großen Teil ohne öffentliche Verpflichtung. Der Bau von Tiefgaragen, Kellern, Balkonen oder Aufzugsanlagen basiert nur zum Teil auf Vorschriften oder Vorgaben. Etwa zur Hälfte werden aufwändige Fassaden z.B. mit Klinkern gestaltet oder auch freiwillig höhere energetische Standards realisiert. Basierend  auf städtischen Auflagen werden überwiegend Maßnahmen wie beispielsweise Regenwasserrückhaltung, Gründächer oder Anforderungen an die Barrierefreiheit von Gebäuden ausgeführt. So werden beispielsweise ein Großteil der Hamburger Wohnungsneubauten mit Dachbegrünung geplant und durchgeführt und das zu vergleichsweise geringeren Mehrkosten als in anderen deutschen Großstädten.

Einfluss der energetischen Standards auf die Baukosten – Studie 1

Das Büro „F+B Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt“ wurde von der Hansestadt beauftragt, den Einfluss der energetischen Standards auf die Baukosten statistisch zu untersuchen – und zwar anhand von tatsächlichen Kosten abgerechneter Bauprojekte. Dazu wurden knapp 120 von der IFB (Hamburgische Investitions- und Förderbank) in den Jahren von 2011 bis 2014 bewilligte und anschließend realisierte Wohnungsbauprojekte mit insgesamt über 4.780 Wohneinheiten anhand der vorliegenden Bau- und Förderakten ausgewertet. Hamburg fördert den Wohnungsbau – sowohl Wohneigentum als auch Mietwohnungen – mit zinsgünstigen Baudarlehen und laufenden Zuschüssen. Als Ergänzungsförderung werden zusätzlich Zuschüsse für besonders energiesparende Bauweise, barrierefreie Wohnungen oder Aufzugsanlagen in Aussicht gestellt.

Das Ergebnis der Studie lag im September 2016 vor und sorgte für große Überraschung. Der direkte Vergleich der Mehrkosten innerhalb der Effizienzhausklassen EnEV 2009, KfW-Effizienzhaus 70, KfW-Effizienzhaus 40 und Passivhaus zeigt:

  • Die Streuung der Baukosten von günstig bis überteuert ist innerhalb jeder Effizienzhausgruppe sehr groß, beim EnEV- Standard sogar am größten. Sowohl bei den energetisch besten als auch bei den energetisch schlechtesten Gebäuden gibt es teure und günstige Bauprojekte.
  • Die Mittelwerte der Baukosten der verschiedenen Effizienzhausstandards unterscheiden sich nur wenig voneinander.
  • Die Passivhäuser sind im Vergleich sogar im Bau die kostengünstigsten Gebäude, 6 % günstiger als Gebäude nach EnEV und 7 % günstiger als die Gebäude nach KfW-Effizienzhaus 40.
  • Ein wesentlicher Anteil der Niedrigenergiehäuser hat sogar Bauwerkskosten (bereinigt ohne Tiefgaragen, Kostengruppen 300+400) von unter 1.800,-€/m².

Gerade die Passivhäuser mit den höchsten Energieeffizienzanforderungen schnitten im Vergleich besonders gut ab. Aufgrund einer optimal gedämmten Gebäudehülle, von der Bodenplatte bis zum Flachdach wärmebrückenoptimiert, halten Passivhäuser die Wärmeverluste und den Wärmebedarf von vornherein gering. Damit Passivhäuser wirklich funktionieren, muss sowohl die Planung als auch die Bausführung konsequent und in hoher Qualität umgesetzt werden. Nicht zu Unrecht gelten Passivhausplaner als besonders sparsam, auch wenn es um den Bauprozess geht.

F+B-Studie Baukosten Hamburg

F+B-Studie Baukosten Hamburg

Erläuterung zur Grafik:
Die Baukosten der ausgewerteten Vorhaben sind in jeder Effizienzhaus-Gruppe gereiht von kleinen zu großen Werten dargestellt. Die erste Gruppe entspricht dem damaligen gesetzlichen Standard (Energieeinsparverordnung EnEV 2009 i.V.m. Hamburger Klimaschutz-Verordnung) Der heutige gesetzliche Standard entspricht fast (nicht ganz) dem Effizienzhaus-70.
Die angegebenen Mittelwerte sind als Median für die Kostengruppen 300 bis 700 dargestellt. Dies sind die Baukosten inkl. Planungs- und Nebenkosten, aber ohne Grundstückkosten und grundstückbezogene Mehrkosten. In vielen Gutachten und Veröffentlichungen werden auch nur die reinen Bauwerkskosten (Kostengruppen 300 und 400) dargestellt, die entsprechend niedriger liegen, dies ist beim Vergleich zu beachten.

Kaum veröffentlicht, gerät die Studie gleich in die Schusslinie. Die InWis-Baukosten-Studie erschien im Januar 2017 im Auftrag der Wohnungs- und Immobilenwirtschaft  (des VNW – Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen e.V., BFW – Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen, Landesverband Nord e.V., IVD – Immobilienverband Deutschland Region Nord e.V.)  Das Gutachten verfolgt die Zielstellung, deutlich zu belegen, dass der Energieeffizienzstandard eines Gebäudes einen (sehr) hohen Einfluss auf die Höhe der Baukosten besitzt und versucht damit, die Aussagen der F+B-Studie zu entkräften.

Nachweis des Einflusses von Energieeffizienzstandards auf die Baukosten – Studie 2

Anhand empirischer Datengrundlagen und Aussagegrenzen in Bezug auf die F+B-Studie kommt die InWis-Studie zum Schluss: „Bei der vergleichenden Analyse unterschiedlicher abgerechneter Bauvorhaben ist – je nach methodischem Ansatz und projektindividuellen Faktoren (Gebäudefaktoren, Vergabe- und Bauprozess) – der kostensteigernde Einfluss des Energieeffizienzstandards zum Teil nachweisbar. Das hängt von dem jeweiligen Modellaufbau und jeweiligen Modellgüte ab. Solche Methoden sind derzeit noch nicht ausgereift genug, um verlässliche Aussagen über komplexe Fragestellungen wie die Ursache-Wirkungszusammenhänge der Höhe von Baukosten ableiten zu können.“

Dazu muss man wissen: Baukostenstudien, die auch von der Baukostensenkungskommission herangezogen werden, werden in der Regel „anhand von Typengebäuden und unter Berücksichtigung typischer Planungsprozesse entlang der Leistungsphasen nach HOAI erstellt“. So lasse sich der kostensteigernde Einfluss des Energieeffizienzstandards – unabhängig von anderen Faktoren – isoliert gut nachweisen.

Theoretische Typengebäude statt reale Baukosten umgesetzter Bauprojekte sollen aussagekräftiger und praxisnah sein? Energieeffizienz und deren Kosten soll unabhängig von anderen miteinfließenden Faktoren sinnvoll und aussagekräftig ausgewertet werden?
In einer Stellungnahme zur InWis-Baukosten-Studie weist die Hamburger Umweltbehörde die Kritik zurück:

Die aktuelle Inwis-Studie bestätigt im Grundsatz mit einem anderen Untersuchungsansatz, was schon die F&B-Studie im Auftrag der Umweltbehörde festgestellt hat. Für Neubauprojekte gilt mit Blick auf die Energiestandards: In allen Kategorien gibt es teure wie günstige Beispiele. Man kann also auch ehrgeizige Energiestandards mit günstigen Baukosten erreichen.“

Herstellungskosten in Hamburg – bauliche Einsparpotenziale und Vergleichsanalyse – Studie 3

Doch statt Gräben zu ziehen setzte sich die Umweltbehörde mit der Wohnungswirtschaft an einen Tisch. „… wir diskutieren … und arbeiten mit Bündnispartnern daran, korrekten Effizienzwohnungsbau, bezahlbares Wohnen und nachhaltiges Bauen miteinander zu vereinbaren.“
Ein neues Gutachten der ARGE (Arbeitsgemeinschat für zeitgemäßes Bauen e.V.) erhebt auf Grundlage von rund einem Viertel der von 2014 bis 2016 in Hamburg fertiggestellten Neubauprojekte im Geschosswohnungsneubau (4.106 Wohnungen von insgesamt 17.308 neugebauten Wohnungen) die Herstellungskosten und Einsparpotentiale im Wohnungsbau – die bisher größte und umfangreichste Erfassung von Baukosten ihrer Art. Die Erhebung, Erfassung und Feststellung der Herstellungskosten erfolgte auf Basis eines 13-seitigen Fragebogens unter Beteiligung von Wohnungsunternehmen, Bauherren, Projektentwicklern, Planern und bauausführenden Unternehmen.
Der Zugriff aufs bundesweite Datenarchiv, das u.a. umfassende Grund-, Energie- und Bauteildaten sowie detaillierte Kostendaten beinhaltet, ermöglichte nicht nur relevante Aussagen über die Baukosten in Hamburg, sondern auch über das Verhältnis der Baukosten zu denen in anderen Großstädten. Das nun tatsächlich mittlerweile dritte Gutachten wurde Ende Oktober 2017 veröffentlicht und kommt dabei zu folgenden Ergebnissen:

In Hamburg wird nicht teurer gebaut als in anderen Großstädten

Die Herstellungskosten ohne Grundstückskosten liegen im Mittelwert bei rund 2.727 €/m² Wohnfläche und damit ca. 80 €/m² Wohnfläche (drei Prozent) über dem Durchschnitt anderer Großstädte. Unterschiede ergeben sich insbesondere durch Hamburgs Lage am Wasser, die hohe Anforderungen an den Wohnungsbau mit sich bringt. Der spezielle Baugrund erfordert in der Bauphase und bei der Gründung besondere Maßnahmen, wie z.B. für Wasserhaltung, Pfahlgründung und eine Weiße Wanne (wasserundurchlässige Stahlbetonkonstruktion, z.B. bei Fundamenten), was zu höheren Kosten führt.
Zudem sind die Grundstückskosten in Hamburg um rund 13 Prozent höher als in anderen deutschen Großstädten, im Mittelwert bei 663,78 €/m² Wohnfläche gegenüber 588,84 €/m² Wohnfläche in anderen Städten.

Über 42 Faktoren beeinflussen die Baukosten und ermöglichen auch kostengünstiges Bauen

ARGE-Gutachten zum Thema Bauen

Höhere Effizienzanforderungen und mehr Dachbegrünungen – Hamburg macht mehr und das im Bundesvergleich für geringere Kosten. „ARGE-Gutachten zum Thema Bauen“ www.hamburg.de/pressearchiv-fhh

Auch in Hamburg gibt es Gebäude mit Bauwerkskosten von ca. 1.800 €/m² Wohnfläche. Bauwerkskosten (das sind die Kostengruppen 300/400 und der größte Teil der Herstellungskosten) von ca. 1.800 €/m² Wohnfläche sind grundsätzlich möglich und schon jetzt in fünf Prozent der untersuchten Hamburger Bauvorhaben umgesetzt worden.

Es gibt keinen einzelnen überragenden Kostentreiber. Maßgeblich ist die Summe aller relevanten Kostenfaktoren. Das Gutachten hat 42 solcher Faktoren identifiziert. Die wichtigsten Kostenfaktoren nach Höhe und Häufigkeit sind in Hamburg: Tiefgaragen, Keller, höhere energetische Standards, Balkone/Loggien und die Fassadengestaltung.

Einfache „Rezepte“ zur Reduzierung der Baukosten sind nicht ableitbar; es gibt aber Möglichkeiten, um Kosten zu mindern. Projektgröße, Dichte und Kompaktheit der Vorhaben sind kostenrelevant.
Projekte mit bis zu zehn Wohnungen sind um sechs Prozent teurer als der Durchschnitt, große Projekte über 100 Wohnungen um fünf Prozent günstiger. Zudem kann kompaktes Bauen die Kosten um zwei Prozent senken und die Vergabe an einen Generalunternehmer den Bau um vier bis sieben Prozent teurer machen als die Einzelvergabe.

„Man kann also auch ehrgeizige Energiestandards mit günstigen Baukosten erreichen. Die Baukostenfrage hängt vor allem damit zusammen, wer baut und wie das Projekt gemanagt und geplant ist. Maßgebliche Preistreiber im Wohnungsbau sind vor allem gestiegene Personal-, Planungs- und Material- und Grundstückskosten.“
Hamburger Umweltbehörde

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