Von Fakten und Halbwahrheiten

Ein Beitrag zur Versachlichung der Dämm-Diskussion

Bild von Gordon Johnson auf Pixabay

Bild von Gordon Johnson auf Pixabay

Alle reden vom Klima. Wenn es jedoch darum geht konkret etwas zu tun, dann sind es oft Verbote wie das von Plastiktüten, Wegwerfgeschirr und Wattestäbchen oder Aufforderungen zum verpackungslosen Einkauf. Also meist punktuelle, sichtbare Maßnahmen – klassische Symbolpolitik –  und Appelle.
Geht es aber um die wahren Klimakiller, läuft die politische Entscheidungsfindung oft zäh – gefangen irgendwo zwischen unterschiedlichsten Interessenskonflikten und dem Motto: lieber mal auf morgen verschieben…

So überrascht es nicht, dass – obwohl Deutschland seine Klimaziele für 2020 insgesamt gerade so erreicht hat – der Gebäudesektor das gesteckte Ziel verfehlt hat. Ein Drittel der CO2-Emissionen gehen über schlecht gedämmte Dächer und Fassaden direkt in die Atmosphäre. Das belastet unser Klima mehr als alles andere, einschließlich dem – sicher auch nicht zu Unrecht – vielgescholtenen Vielfliegen. Und die Klimaziele für 2050? Bis dahin sollen 95% der CO2-Emissionen eingespart werden. Man fragt sich nur wie das konkret funktionieren soll, wenn im Bereich der Gebäudemodernisierung eine bildlich gesprochen eher schulterzuckende Politik auf der Tagesordnung steht.

 

Bis zu 50% der Heizenergie wird in die Luft geblasen

Der größte Klimahebel ist ungenutzt

Gebäudedämmung und Modernisierung wären die größten Hebel für das Erreichen unserer Klimaziele. Es fängt aber schon bei der Gebäudehülle an, wo sich die Politik kaum ran wagt. Zu unbeliebt sind die Themen Dämmen und Dämmstoff.

Einer Untersuchung der Fachvereinigung Extruderschaum (FPX) in Kooperation mit dem Deutschen Energieberater Netzwerk (DEN) zufolge werden Heizungsmodernisierungen von Bund, Länder und Kommunen zu 62 % direkt – anhand der Heizsysteme oder den verwendeten Energieträger – gefördert, Dämmmaßnahmen zum Wärmeschutz aber nur zu 14 %. Ca. 25 % der Wärmedämmförderungen werden im Rahmen von umfassenden und energetischen Sanierungen vergeben, mit 46 % wird knapp die Hälfte auf festgesetzte Sanierungsgebiete beschränkt.

Wäre es aber nicht sinnvoll, die Energie erst gar nicht zu benötigen? Bildlich formuliert: Sollte man nicht lieber eine warme Jacke anziehen, statt einen Schnaps zum Aufwärmen zu trinken? Womöglich beides, aber möglichst in der richtigen Reihenfolge: erst die Jacke übergestreift und dann mal schauen, was man sonst noch so braucht, vielleicht geht auch ein Tee. Eine Binsenweisheit ist: Wer vorher die Dämmung plant, braucht nachher eine kleinere Heizungsanlage – und die fällt günstiger aus. Und: Je geringer der Bedarf an Heizenergie, desto mehr lohnt sich der Einsatz von Niedertemperatursystemen auf Basis Erneuerbarer Energien.

Das Dämmbashing zeigt Wirkung

Bild Perimeterdämmung am Tacheles BerlinErzählt wird davon wenig. Schicker scheint es seit einigen Jahren zu sein, von oben auf das Dämmen herabzuschauen und in schöner Regelmäßigkeit medial ein bisschen „fundiertes Halbwissen“ in die Welt zu setzen. Menschen glauben, was zwar nicht wahr ist aber dafür umso öfter wiederholt wird.

Das zeigt Wirkung: Seit ungefähr 10 Jahren stagnieren die Dämmmaßnahmen. Skandal verkauft sich besser! Medien skandalisieren und stürzen sich teils ungeprüft auf Informationen, Hauptsache sie versprechen eine Zuspitzung.

Ein Beispiel wie Stimmung gemacht wird

Redet man vom Dämmen, denken viele an das Schreckgespenst Hausbrand. Permanent wurde und wird dies auch so in diversen Medien dargestellt. Fakt ist jedoch: Eine sog. Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an die Bundesregierung (18/4129) ergab, dass nach den erhobenen Daten der Feuerwehr Frankfurt am Main  0,0038%*1 Brandereignisse im Zusammenhang mit Dämmstoffen aufge­treten sind, der Berliner Mieterbund geht von 0,01 %*2 aus. Würde man den Medien glauben, brennt das Zeug wie Zunder. Selbst beim Grenfell Tower ist man schon längst zu dem Ergebnis gekommen, dass ausgerechnet der Dämmstoff am längsten dem Brand standgehalten hat. Hingegen ist mittlerweile unbestritten unter den Experten, dass die ACP-Paneele (Aluminium-Verbundplatten als Bekleidung der Fassade angebracht) ausschlaggebend für die Katastrophe waren.  Aber das Gerücht, der Dämmstoff sei für den Brand verantwortlich gewesen, hält sich hartnäckig.

 Wissen hilft

Aufklärung statt Verunsicherung

Es gilt daher, immer wieder über Mythen und Halbwahrheiten aufzuklären, um dem Klimakiller Kohlendioxid wirkungsvoll den Kampf anzusagen und auch die Politik zum Handeln zu bewegen. Was ist nun wahr, was ist falsch?
Ja, Polystyrol brennt, ebenso wie Holz oder Wohntextilien. Aber wenn man eine Flamme an den Dämmstoff aus Kunststoff hält, dann geht diese sofort aus. Das liegt an dem Flammschutzmittel, welches beigefügt wird. Dieses ist auch in Möbeln, Gardienen, Teppichen enthalten. Seit 2015 verwenden Dämmstoffhersteller kein HBCD, sondern ausschließlich  umweltfreundliche Flammschutzmittel. Somit sind alle seit 2015 verbauten Dämmplatten recyclebar. Die bis 2015 verbauten Platten können wegen des enthaltenden HBCD nicht recycelt werden, die Industrie entwickelt und testet gerade mögliche Recycling-Verfahren. Derzeit werden sie nach dem Rückbau in Verbrennungsanlagen zumindest thermisch verwertet.

 

Was ist mit dem Rohstoff?

Polystyrol ist ein organisches Material und wird aus Erdöl gewonnen, wie viele Baustoffe und Alltagsgegenstände. Der Dämmstoff dient zum Sparen von Heizenergie, statt Öl direkt zu verheizen.
Im Laufe seiner Lebensdauer spart zum Beispiel eine Bodenplatte, die ein Hausleben lang im Einsatz ist, das 200-300fache dessen ein, was zu ihrer Herstellung an Energie und Rohstoffeinsatz verwendet wurde. Die thermische Verwertung am Ende des Lebenszyklus bringt dann noch einmal 30% der Herstellungsenergie von Polystyrol ein. Das sind die wesentlichen Gründe, warum zum Beispiel eine Dämmplatte aus XPS am Ende ihres Lebenszyklus in ihrer Ökobilanz mit Naturdämmstoffen mithalten kann.

 

Nachhaltigkeit gründet in der Vernunft

Vernünftig und mit Augenmaß

Nicht jedes Material kann überall und für alles eingesetzt werden. Statt alle Dämmstoffe pauschal über einen Kamm zu scheren, kann klar nach Einsatzbereichen unterschieden und eine Wahl getroffen werden. Für die Fassade können sehr gut mineralische oder Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen verwendet werden. Eine Bodenplatte hingegen, die enormen Druck aushalten muss oder Grundwasser ausgesetzt ist, muss einfach mehr können. Deswegen werden die dafür zugelassenen XPS Dämmplatten sogar bei nachhaltiger Architektur in der Bodenplatte verwendet. Die Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen DGNB zählt unzählige Gewinner des Nachhaltigkeitspreises, die Polystyrol in diesen Einsatzbereichen verwendet haben.

Bild Nutzflächen auf Wohngebäude in Berlin

Auch der weltweite ökologische Trend zur Begrünung von Dächern lässt sich nicht rein kunststofffrei bewerkstelligen. Baut man ein Umkehrdach, wie es heute immer üblicher wird, wird die Dachhaut vom Dämmstoff vor Witterungseinflüssen geschützt. Die Dämmung muss hier hoher Feuchte und Druck standhalten, Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen können das nicht leisten. Durch diese Schutzwirkung des Umkehrdaches hat ein Flachdach eine doppelte Lebensdauer wie ein konventionelles Dach. Auch das ist neben der enormen Kostenersparnis ein wichtiger Nachhaltigkeitsfaktor, der mit alternativen Materialien nicht erreicht werden kann.

Summa summarum – allein mit erneuerbarer Energie wird den Klimazielen nicht beizukommen sein.

Am einträglichsten ist es einfach, die Energie gar nicht erst zu verbrauchen.

Dazu müssen wir mehr dämmen statt weniger. Aber was tun, wenn das Dämmen hierzulande einen so schlechten Ruf hat und sich selbst Politiker nicht trauen, diese Notwendigkeit zu benennen?

Es erfordert Aufklärung, nicht nur Heizungskampagnen mit den Energieerzeugern und Heizungsherstellern. Die führen zwar zu schnellen Investitionen – ja, aber die brachliegenden Potenziale werden dadurch nicht ausgenutzt und nachhaltige Erfolge können so nicht erschlossen werden.
Bodenplatte Außenwände, Fenster und Dach spielen eine entscheidende Rolle beim Energieverbrauch eines Hauses. Gut gedämmt verhindert die Gebäudehülle, dass wertvolle und teuer bezahlte Heizenergie ungenutzt nach außen entweicht. Das spart Heizkosten, reduziert CO2-Emissionen und entlastet so die Umwelt. Gerade vor dem Hintergrund steigender Energiepreise und der CO2-Besteuerung von Gas- und Ölheizungen führt eine Dämmung zu den gewünschten Einspareffekten, für Hauseigentümer und für die Politik.

Alle reden vom Klima! Durch eine individuelle Energieberatung kann heutzutage jeder Hauseigentümer den Wärmeschutz mit einer effizienten Beheizung kombinieren und so die bestmögliche Energie- und Kosteneinsparung erreichen.

Beratung und Aufklärung vom unabhängigen Fachmann, gestützt auf fundiertem Wissen und realen Erfahrungswerten, verbunden mit individuellem Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Hauseigentümer und getragen von ehrlichen Kampagnen zur Wärmewende, unterstützt mit ansprechender finanzieller Förderung.

 

*1 0,0038% Brandereignisse mit Dämmstoffen – aber besorgniserregender Brandhemmer (baulinks.de), 2015/0418; Artikel vom 9.3.2015

*2 Stern 29.10.2020, S. 94

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